«Swiss Derma Day 2018» Mediengespräch «Patient und Politik» der SGDV
"Schweizer Dermatologinnen und Dermatologen: Internationale Wegbereiterin im Einsatz für die Schweizer Bevölkerung"
Es gilt das gesprochene Wort
Einleitung
Dr. med. Carlo Mainetti, Präsident SGDV
Die Schweizer Dermatologie als internationale Wegbereiterin...
In den letzten 100 Jahren haben durch die Translationale Forschung neue medizinische Konzepte (Immunologie, Allergologie, Molekularbiologie) das Verständnis von Krankheiten verändert: Die vernetzte Grundlagenforschung führt über die angewandte klinische Forschung am Menschen zum personalisierten Einsatz beim Patienten.
Diese Entwicklung wurde von Anfang an massgeblich durch Schweizer Dermatologen begründet und geprägt: dazu gehörten in den Anfängen die klinischen Forschungsgruppen der Hautkliniken unter Josef Jadassohn in Bern, Bruno Bloch in Zürich und für die USA deren Schüler Marion Sulzberger, der 1952 die Cortisoncreme entwickelte.
Da alle immunologischen, hormonellen, durch Nerven und Gefässe ausgelösten Reaktionen auch an der Haut stattfinden, sind die Ergebnisse der dermatologische Forschung für alle anderen Spezialgebiete von höchster Relevanz. Bloch, Jadassohn und ihre Nachfolger legten mit den Erkenntnissen in den Bereichen von Unverträglichkeitsreaktionen und Krebs die Basis für die aktuell gültigen therapeutischen Konzepte. Die-se Entwicklung setzt sich heute mit Forschungsergebnissen fort, bei denen For-schungsgruppen aus allen Schweizerischen Dermatologischen Universitätskliniken an allen international bedeutsamen Weiterentwicklungen massgeblich und oft führend beteiligt sind: etwa in den Bereichen Schuppenflechte, autoinflammatorische Erkrankungen, Medikamentenreaktionen, Mikrobiomforschung und den neuen bahnbrechenden Erfolgen der gezielten und immunologischen Krebstherapie.
...im Einsatz für die Schweizer Bevölkerung
Dermatologinnen und Dermatologen sind wichtig für die medizinische Grundversorgung der Schweiz. So ist zum Beispiel der Hautkrebs mittlerweile die häufigste Krebsart. Jeder Dritte entwickelt im Laufe seines Lebens Hautkrebs. Die Schweiz gilt als „Hochrisikoland“ für Hautkrebs. Die UV-Belastung der Schweizer Bevölkerung ist einerseits durch die Freizeit in den Bergen und andererseits durch häufige Reisen in sonnige Länder relativ hoch.
Hautkrebs ist jedoch nicht nur der häufigste Krebs, sondern er nimmt auch weiterhin am stärksten aller Krebsarten zu. Bereits rund ein Drittel aller Pensionierten hat leichte Formen von Hautkrebs. Rund 25‘000 Personen erkranken in der Schweiz jährlich an aggressiveren Formen von Hautkrebs, davon 2‘400 am Melanom. Während die Sterblichkeit am Melanom mit rund 300 Todesfällen pro Jahr in den letzten Jahren unverändert blieb, nehmen besonders schwere Verläufe einer Form des hellen Hautkrebses (spinozelluläres Karzinom), langsam zu. Dermatologen können rasche und sichere Diagnosen und verzögerungsfreien Behandlung sicherstellen.
Ungefähr 10 Prozent der Schweizer Bevölkerung leidet aktuell unter schwereren Haut-krankheiten, welche die Berufsausübung behindern, den Schlaf beeinträchtigen oder die sozialen Kontakte erschweren. Diesen Personen wirksam zu helfen, ist die Hauptaufgabe der Dermatologie. Hier sind gerade in der Behandlung der Schuppenflechte, der Neurodermitis, und der Urticaria in den letzten 15 Jahren bahnbrechende Fort-schritte in der Behandlung von Patienten erzielt worden.
Tarifmassnahmen gegen Dermatologen treffen rasch viele Patienten
Aktuelle Reformen im Gesundheitswesen bedrohen die wirtschaftliche Existenz der 540 ambulant tätigen Dermatologen in allen Regionen der Schweiz. 80% der Derma-tologen arbeiten im ambulanten Sektor in KMU-Strukturen mit 2-6 Mitarbeitenden pro Praxis. Ein Vollzeit-Dermatologe versorgt jährlich ungefähr 4‘000 Patienten in durch-schnittlich ca. zwei bis drei Konsultationen. Dies sind total ca. 10‘000 Konsultationen pro Jahr. Die Arbeitsabläufe der dermatologischen Facharztpraxen sind heute stark optimiert. Weitere Effizienzsteigerungs-Massnahmen und Einsparungen sind nicht sachgerecht, sondern schädlich für alle.
Es leiden die Patienten: Insbesondere ältere Menschen oder chronisch Kranke müssen auf Grund dieser Massnahmen in ein Spital überwiesen werden, wo die stationäre Behandlung um ein Mehrfaches teurer ist. Damit werden schliesslich die öffentlichen Gesundheitsbudgets sowie die Prämienzahlenden selbst belastet.
Der erwünschten und sinnvollen Verlagerung von stationär nach ambulant wird dadurch entgegengewirkt.
Beispiel: Wenn eine ambulante Hautkrebsbehandlung inklusive Laboruntersuchung ambulant je nach Fall zwischen 500–1’500 Franken kostet, verursacht die gleiche Behandlung stationär Kosten von 7’500–10’000 Franken.
Änderung der ambulanten Tarife – Auswirkungen auf die Behandlung komplexer ambulanter Fälle an Universitätsspitälern
Prof. Dr. med. Luca Borradori, Präsident European Academy of Dermatology and Venereology (EADV)
Der Eingriff des Bundesrates in die Tarmed-Tarifstruktur, welcher per Anfang dieses Jahres 2018 wirksam wird, führt zwangsläufig zu einer Rationierung der vergüteten Leistungen seitens der obligatorischen Krankenversicherung – vor allem bei komplexen Krankheitsbildern. Im Besonderen ist die Verrechnung von Leistungen «in Abwe-senheit des Patienten» von der Rationierung betroffen. Die Zeitvorgabe wird neu limitiert. Für den „Normal-Patienten“ dürfen ab 2018 lediglich noch 30 Minuten und für einen komplexen Patienten 60 Minuten pro Quartal verrechnet werden – ungeachtet dessen, wie hoch der reale Aufwand und wie viele Ärzte in einer interdisziplinären Be-handlung involviert sind. Diese Vorgaben sind mit der klinischen Realität und den me-dizinischen Qualitätsansprüchen, die man von einem Universitätsspital erwartet, unvereinbar.
Alle Leistungen «in Abwesenheit des Patienten» müssen innerhalb der 30 bzw. 60 Minuten erbracht werden. Dazu gehört unter anderem das Studium von komplexen Dos-siers, die Studienrecherchen für seltene Krankheitsfälle, die Auskünfte an Angehörige und Hausärzte sowie interdisziplinären Besprechungen wie Tumorboards. Unter diesen Voraussetzungen können die klinische Qualitätsstandards der modernen Medizin, auf die Patienten einen Anspruch haben, nicht aufrechterhalten werden.
Heute ist es zum Beispiel in der Behandlung von Patienten mit Hauttumoren eine Vorgabe und Selbstverständlichkeit, dass die Krankengeschichte eines Patienten inklusive aller Voruntersuchungen an einem Tumorboard – einem Gremium von mindestens sechs onkologischen Spezialisten – besprochen und die optimale Therapie interdisziplinär festgelegt wird. Die Leistungen eines Tumorboards können unter dem neuen TarmedReglement in der Regel nicht mehr abgerechnet werden, da die maximal zur Verfügung stehenden 60 Minuten bereits durch andere Aktivitäten im Vorfeld ver-braucht sind.
Die überarbeite Tarmed-Tarifstruktur stellt eine klare Verschlechterung der ambulanten Medizin in den Universitätsspitälern dar, ignoriert die Komplexität der Betreuung der Patienten mit komplexen Krankheitsbilder und führt zu einer Rationierung der Leistungen. Eine Anpassung der Vorgaben ist zwingend notwendig, um auch in Zukunft eine optimale ambulante Behandlung komplexer Krankheitsbilder zu gewährleis-ten.
Tarco und einheitliche Finanzierung: sinnvoller Weg
Dr. med. Carlo Mainetti, Präsident SGDV
Wie Herr Prof. Borradori ausgeführt hat: Der Tarifeingriff 2018 ist ein Problem mit grossen Auswirkungen. Er setzt die gesamte Ärzteschaft in freier Praxis unter massi-ven Druck. Wir Dermatologinnen und Dermatologen setzten nun zunächst alles daran, die sehr zahlreichen hautkranken Patienten in der Schweiz weiterhin optimal zu be-handeln und zu betreuen.
Wir können aus den Ausführungen von Herr Prof. Borradori zudem auch folgern, welche weiteren Massnahmen im Gesundheitssystem nötig wären, um Verbesserungen zu ermöglichen, ohne Schäden anzurichten: Es ist – Sie dürften diese Diskussion bereits aus gesundheitspolitischen Debatten kennen - an der Zeit, die einheitliche Finanzie-rung von ambulanten und stationären (EFAS) Leistungen mit Nachdruck anzustreben. Dieser Weg vereinfacht die Finanzierung, macht sie gerechter, einfacher und entfaltet zudem eine Wirkung, welche den Grundsatz «ambulant vor stationär» stärken wird. So können Versorgungseinschränkungen, Staatstarife und rationierende Globalbud-gets vermieden werden. Das ist ein sinnvoller Schritt in Richtung Kosteneindämmung. Wir fordern die Politik auf, diesen Weg entschlossen einzuschlagen. Es muss gelingen, die dafür nötigen Gespräche und Kompromisse auch mit den Kantonen zu finden.
Dies, zumal die Strategie Gesundheit2020 des Bundesrates sich die Stärkung der ambulanten Medizin als Kernziel vorgenommen hat. Der nun verordnete Tarifeingriff läuft diesem Ziel diametral entgegen. Bei stark gestiegenen Fixkosten einer Praxis (v.a. Miete, Personal, IT) ist das Realeinkommen der Ärzteschaft in den vergangenen 30 Jahren bei fehlender Tarifanpassung kontinuierlich gesunken. Mit dem erneuten Tarif-eingriff wird es deswegen immer schwieriger, das «KMU» Arztpraxis noch nach be-triebswirtschaftlich vernünftigen Vorgaben zu führen. Der wirtschaftliche Druck birgt die reale Gefahr, dass die Patientenversorgung leidet. Die konkreten Auswirkungen des Tarifeingriffs werden bis Mitte 2018 besser abschätzbar sein.
Immerhin ist es in der Vernehmlassung zum Tarifeingriff (März-Juni 2017) gelungen, die drastischsten Eingriffe abzumildern. Für die Hautkrebschirurgie, einer der Hauptaufgaben moderner Dermatologiepraxen, konnte der Taxpunkteverlust für kleine Ein-griffe von 9% auf 3% reduziert werden, für grosse Eingriffe immerhin von 30% auf 15%. Damit konnte hoffentlich abgewendet werden, dass künftig Patienten, die einen Hauteingriff benötigen, – und wir sprechen hier von tausenden Eingriffen jährlich al-lein in der Schweiz – ins Spital überwiesen werden müssen. Nicht zu vergessen ist die Tatsache, dass sich die aktuellen Verluste auf den im Jahre 2014 erfolgten bundesrät-lichen Tarifeingriff beziehen, bei dem die technischen Leistungen bereits um 9% gekürzt wurden.
Unter Leitung der FMH wird die Revision des ambulanten Arzttarifs unter der neuen Bezeichnung Tarco (TARMEDconsensus) bis Mitte 2018 fertig gestellt. Damit wäre die Voraussetzung zur Aufhebung des zweiten Tarifeingriffs geschaffen. Parallel dazu wird die SGDV das Projekt eines Pauschaltarifs in Kooperation mit dem Verband der chirurgisch und invasiv tätigen Fachgsellschaften (fmCh) fortsetzen.
((Überleitung))
Lassen Sie uns nun noch zu einem letzten Schwerpunkt kommen. Es liegt uns am Herzen, dieses Thema aus der Dermatologie in der Schweiz stärker öffentlich zu machen und Arbeitnehmende wie auch Arbeitgeber darauf zu sensibilisieren:
Das erhöhte Hauterkrankungsrisiko von Menschen, die ihren Beruf im Dienste der Bevölkerung täglich draussen, im Freien ausüben.
Berufskrank durch die Sonne: Zunehmend gefährdet sind Menschen, die draussen arbeiten
Prof. Dr. med. Philippe Spring, Centre dermatologique et dermatochirurgical des Croisettes
Hautkrankheiten als Berufskrankheit: Heutiger Kenntnisstand
Schwarzer und heller Hautkrebs werden oft mit Freizeit in Verbindung gebracht. Die Sonnenstrahlen im UVB-Bereich – die verantwortlich für den Sonnenbrand sind, stellen eine bekannte Ursache dar. Aber auch die UVA-Strahlung der Sonne und von Solarien ist in den neueren wissenschaftlichen Zeitschriften als wichtiger Grund für Haut-krebs dokumentiert.
Arbeitnehmende im Hochbau wie z.B. Dachdecker und Bauarbeiter sowie Strassen- und Gleisarbeiter, Forst- und Gartenarbeiter, Landwirte, Personal in offenen Schwimmbädern etc. sind durch die UV-Belastung drei bis fünf Mal stärker gefährdet. Das belegt die (deutsche) Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), welche seit 2007 personenbezogene Messungen der UV-Exposition von Arbeitnehmen-den im Freien vornimmt. Die Messergebnisse hängen zudem von Breitengrad, Höhenlage, Reflexion und Jahreszeit ab.
Für den hellen Hautkrebs liegen die zuverlässigsten Resultate vor: 20’000-25’000 neue Fälle werden in der Schweiz pro Jahr neu diagnostiziert. Laut Dr. Hanspeter Rast, Arbeitsmediziner und Dermatologe und Experte der Schweizerischen Unfallversicherung SUVA, dürften davon 5% berufsbedingt sein.
Bei einer Form des hellen Hautkrebses, dem sogenannten Spinaliom und seinen Vor-stufen, gibt es die verlässlichsten Daten. Der Tumor tritt praktisch nur an sonnenex-ponierten Arealen auf und die Häufigkeit ist abhängig von der Gesamtsonneneinstrahlung im Leben.
Beim Basaliom ist die Situation etwas komplexer, da neben der UV-Belastung die ge-netische Neigung eine zusätzliche Rolle spielt.
Nicht abschliessend geklärt ist der Zusammenhang zwischen einer längerfristigen Sonnenstrahlung und der Melanomentwicklung (schwarzer Hautkrebs), so dass in solchen Fällen eine Berufserkrankung schwierig zu beweisen ist.
Aktuelle dermatologische Forschung
Wie angedeutet spielt die kumulative Ansammlung von UV-Strahlen sowohl bei der Hautalterung wie auch beim Entstehen von Hautkrebs eine bedeutsame Rolle.
Neben der direkten UV-Exposition ist die Wirkung der indirekten Strahlung ein nicht zu unterschätzender Aspekt. Damit ist das Reflektieren von UV-Strahlen durch Sand, Erde, Wasser und Schnee gemeint.
Schliesslich muss neu auch der Diskussion einer möglichen UV-Exposition während der Pausenzeiten im Freien höhere Aufmerksamkeit zukommen. Am Arbeitsinstitut in Lausanne wird dieser Bereich experimentell weiter erforscht.
Ein neuer Forschungsansatz untersucht synergistische Effekte. Dabei wird das Mitwirken von weiteren Faktoren wie Teer und Chemikalien in der Entstehung von Hautkrebs mitberücksichtigt. In diesem Rahmen konnte kürzlich belegt werden, dass Haut, welche mit Teerderivaten bedeckt und UV-exponiert ist, ein erhöhtes Hautkrebspotenzial aufweist. Arbeitnehmende im Strassenbau und in der Bahnbranche sind davon am stärksten betroffen.
Erhebung der Fälle ist wichtig
Wichtig ist die Meldung der Fälle an die Unfallversicherung. Es wurden europaweit bereits viele Hautkrebs-Register erstellt, vor allem in Universitätszentren, die mit einem arbeitsmedizinischen Institut eng zusammenarbeiten. Diese Register liefern Informationen über die Tumorart, ihren Zusammenhang mit UV-Strahlen und ob eine Berufserkrankung vorliegen könnte.
International sowie national arbeiten Expertengruppen an der Frage über den Zusammenhang zwischen beruflicher Arbeit im Freien und erhöhtem Vorkommen von Hautkrankheiten wie Krebs. Die Weltgesundheitsorganisation beschäftigt Experten in diesem spezifischen Bereich. Auch europaweit gibt es eine solche Kooperation (European Cooperation in science and Technology, COST), bei welcher auch Schweizer Ärzte und andere Wissenschaftler mitwirken.
Anerkennung als Berufskrankheit: Hautärzte als wichtige Partner
Patienten, die an berufsbedingten Hauttumoren leiden, können auch in der Schweiz gemeldet werden. Die grosse Herausforderung bleibt aber die Anerkennung durch die Unfallversicherung als Berufskrankheit. Dies erfordert eine ausführliche Meldung durch den Arzt an die Versicherung, damit diese wiederum ihr Urteil möglichst rasch und effizient fällen kann. Hautärzte sind in diesen Prozessen wichtige Partner für Arbeit-nehmende sowie für die Unfallversicherungen.